Fernab der Wahrnehmung vieler hat das Parlament in der Herbstsession eine Änderung des Transplantationsgesetzes beschlossen, das einem ethisch und moralisch heiklen Dammbruch gleichkommt. Neu sollen nach dem Tod alle automatisch zu Organspendern werden, wenn sie oder die Angehörigen dies nicht zu Lebzeiten explizit abgelehnt haben.
«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 22. Oktober 2021
Die Einführung der sogenannten «Widerspruchslösung» entspricht dem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten». Diese wollte den Grundsatz der vermuteten Zustimmung in der Verfassung verankern. Der vermeintlich moderatere Gegenvorschlag sieht im Gegensatz zur Initiative den Einbezug der Angehörigen vor, wobei letztere gegen die Organspende nur dann Widerspruch einlegen können, wenn sie glaubhaft machen können, dass die verstorbene Person mutmasslich die Organspende abgelehnt hätte. Die Angehörigen würden einem unzulässigen Druck ausgesetzt, würde ihnen eine Ablehnung schliesslich sofort als unsolidarisches Verhalten angelastet.
«Mein Körper, meine Entscheidung», skandieren Feministinnen jeweils leidenschaftlich, wenn sie das Recht auf Abtreibung einfordern. Wenn es um die eigenen Organe – etwas zutiefst Persönliches – geht, ist diese Parole jedoch nichts mehr wert. Ich bin zwar kein Mediziner, aber so viel weiss ich: Zu jedem medizinischen Eingriff braucht es ein bewusstes und klares Ja («informed consent»). Schweigen bedeutet eben nicht Zustimmung! Das bedeutet auch: Alle Personen, die keinen Widerspruch einlegen und somit zu Organspendern werden, müssten über die Modalitäten der Organentnahme (Explantation) genau informiert werden. So müssten sie zum Beispiel das Hirntodkonzept kennen und wissen, dass Organe nicht kalten Leichen entnommen werden.
Selbstverständlich lässt es einen nicht kalt, dass zurzeit laut Befürwortern über 1’400 Menschen auf eine Organspende warten. Es ist zu begrüssen und darauf hinzuarbeiten, dass mehr Menschen freiwillig Organe spenden, um anderen in Not zu helfen. Ganz so einfach ist diese Thematik aber nicht. Wenn pauschal jeder zum Organspender wird, der nicht schriftlich widersprochen hat und sich nicht in einem Register hat eintragen lassen, bewegen wir uns auf dünnem Eis. Vor allem viele sozial Schwache, die für Behördeninformationen ohnehin schwer zugänglich sind, würden wahrscheinlich zu Organspendern, ohne dies je geahnt zu haben. Wie steht es mit der menschlichen Würde? Wird der Mensch zum Ersatzteillager, aus dem man sich einfach bedienen kann? Zum Glück gibt es gegen die Widerspruchslösung jetzt ein Referendum.