Wer glaubt, so rasch könne einen nichts mehr verblüffen, dem sei empfohlen, sich mal mit dem Mikrokosmos der Vereinten Nationen (UNO) zu befassen. Dort hat nämlich Ende März Saudi-Arabien den Vorsitz in der UNO-Kommission zur Förderung von Frauen übernommen.
«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 5. April 2024
Wenn das keine Realsatire ist: Ausgerechnet jenes Land, in dem Frauenrechtlerinnen die Todesstrafe droht und in dem es Frauen erst seit 2018 erlaubt ist, Auto zu fahren, steht nun einer offiziellen UNO-Kommission vor, die sich global für eine bessere rechtliche Stellung der Frau stark machen soll. Ausgerechnet Saudi-Arabien – eine absolutistische Monarchie, in der das Königshaus mit eiserner Faust regiert und mit dem Wahhabismus einen radikal-sunnitischen Islam vertritt, den das Saudi-Regime mit viel Geld in die ganze Welt exportiert.
Die radikal-islamistischen Saudis als Schirmherren der Frauenrechte – etwa nur ein einmaliger Ausrutscher, wie er in jedem System mitunter vorkommen kann? Schön wär’s. Immer wieder sorgt die Besetzung von UNO-Gremien in westlichen Staaten für Kopfschütteln und Unverständnis. Die Mehrheit des UNO-Menschenrechtsrats z.B. besteht aus Ländern, in denen es um die Menschenrechte – gelinde gesagt – nicht unbedingt zum allerbesten steht. Immer wieder werden in den UNO-Gremien Fälle von Korruption und Vetternwirtschaft publik. Das Hilfsprogramm für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza beschäftigte Hamas-Kämpfer und verbreitete antisemitische Schulbücher.
Konsequenzen hat das alles keine, sind die Probleme doch systembedingt. Die Vereinten Nationen zählen gegenwärtig 193 Mitgliedstaaten. Der «Demokratieindex» der britischen Zeitschrift «The Economist», der den Grad der Demokratie in den Ländern misst, stufte im Jahr 2023 dagegen gerade einmal 23 Staaten als «vollständige Demokratien» ein. Ergo kann man nicht erwarten, dass in UNO-Gremien, die repräsentativ zusammengesetzt sein müssen, Wertevorstellungen dominieren, denen wir uns in westlichen Staaten verpflichtet fühlen. Umso mehr müssen wir uns aber fragen, ob die Schweiz dieses Treiben – besonders, wenn die übelsten Diktaturen prestigeträchtige Vorsitze zugesprochen erhalten – noch länger legitimieren will.
Zu den europäischen Mitgliedstaaten der UNO-Kommission für Frauenförderung gehört übrigens auch die Schweiz. Ihre Vertreter erhoben keinen Widerspruch, als sich die Saudis zur Wahl des Vorsitzes stellten. Insgesamt trug die Schweiz im Jahr 2022 rund 1,07 Milliarden US-Dollar an Pflicht- und freiwilligen Beiträgen an das UNO-System bei. Was haben wir in dieser UNO noch verloren?