Der gesellschaftliche und politische Diskurs hat sich von den Stammtischen und Podien weitestgehend in die sozialen Medien verschoben. Weil dadurch jeder geneigte Bürger zum Medienproduzenten werden kann, sehen sich auch die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten und die grossen Medienkonzerne in ihrer Deutungshoheit bedroht. Mit dem «Digital Services Act» will die EU die sozialen Medien stärker regulieren – auch die Schweiz will mitziehen. Es droht eine riesige Zensurwelle, welche die Meinungsäusserungsfreiheit erschüttert.
«BRISANT»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen auf «schweizerzeit.ch» am 22. November 2024
Ein immer grösser werdender Teil des öffentlichen Diskurses findet heutzutage online statt. Das mag man nun gut oder schlecht finden. Es ist schlicht und einfach ein Fakt, dass sich die Menschen in den westlichen Industriestaaten über weite Teile ihres Lebens im «World Wide Web», dem Internet, bewegen. Das Netz ist längst nicht mehr bloss eine Spielwiese der jungen Generation. Die Onlinesucht betrifft alle Altersgruppen – gerade auch, was den Medienkonsum und die Informationsbeschaffung anbelangen. Das kann bekanntlich Fluch und Segen zugleich sein. Auf der einen Seite sind die Aufmerksamkeitsspanne und die Überdrussgefühle weiter Bevölkerungsteile durch die andauernde Reizüberflutung und undurchsichtige Algorithmen auf ein bedenklich tiefes Niveau gefallen. Auf der anderen Seite sind im Online-Zeitalter unzählige, sog. «Alternative Medien» wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ein relevantes und wertvolles, für jedermann und jedefrau zugängliches Korrektiv zum Einheitsbrei der früher alles dominierenden Massen-Medien.
Verändertes Konsumverhalten
Exemplarisch für diese Entwicklung ist das Beispiel der Tagesschau des Schweizer Fernsehens. Sie war im 20. Jahrhundert ein Pflichtprogramm für die ganze Bevölkerung – für alle, die wissen wollten, was um sie herum geschieht. Heute hat die Hauptausgabe der Tagesschau (um 19.30 Uhr) auf SRF1 bei den 15- bis 59-Jährigen noch einen Marktanteil von gut einem Drittel. Das entspricht meist weniger als 150’000 Zuschauern (Quelle: Publikumszahlen SRF1). Dafür zählt der «Weltwoche»-Kanal auf der Videoplattform YouTube rund 320’000 Abonnenten. Werktags schauen sich jeden Morgen Zehntausende allein die Schweizer Ausgabe von Roger Köppels «Weltwoche Daily» an (hinzu kommt noch eine separate Ausgabe für Deutschland). Köppel produziert sein Format mit vergleichsweise bescheidenem Aufwand in eigenen Räumlichkeiten – und hat damit grossen Erfolg. Viele andere mit Eloquenz und der Gabe zur Unterhaltung gesegnete Persönlichkeiten tun es ihm gleich. Solche Podcasts und Videoformate entsprechen im digitalen Zeitalter dem, was einst die SRF-Tagesschau war!
Das Schweizer Fernsehen dagegen wird zu weiten Teilen bloss noch von der heutigen Rentner-Generation getragen (Randbemerkung: Deshalb sind Zwangsgebühren für den «Staatsfunk» längst nicht mehr gerechtfertigt!). Sowohl die arbeitstätige Bevölkerung als auch die Jugend konsumiert dagegen immer weniger sog. lineare, zu fixen Zeiten ausgestrahlte oder verfügbare Medieninhalte. Das Interesse an Politik und dem Zeitgeschehen hat dabei nicht etwa abgenommen. Es hat sich lediglich das Konsumverhalten geändert. Vielmehr will man sich heute spontan etwas anhören oder anschauen, wenn es einem gerade in die vollgestopfte Agenda passt.
Social Media als Informationsquelle Nummer 1
Die angesagten, wachsenden Social Media-Plattformen sind in der Schweiz heute LinkedIn (Schwerpunkt berufliche Netzwerke), Instagram (Multimedia) oder TikTok, das ausschliesslich auf hochformatige Handy-Videos ausgelegt ist. Weit oben rangiert noch immer Facebook, aber auch die Video-Plattform YouTube, die von rund 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung genutzt wird, ist omnipräsent. Zu den sozialen Medien ist im weiteren Sinne auch der Messenger-Dienst WhatsApp zu zählen. Nahezu 90 Prozent aller Einwohner der Schweiz sind heute auf WhatsApp! Bei der Trend-Plattform TikTok ist insbesondere das analysierte Nutzerverhalten bemerkenswert. Rund 37 Prozent der 18- bis 24-Jährigen gelten als «aktive Nutzer». Diese verbringen pro Tag über 90 Minuten auf TikTok und öffnen die App auf ihrem Handy im Schnitt zehn Mal.
Auf all diesen Plattform wird nicht bloss «herumgeblödelt» und vermeintlich Nebensächlichem gefrönt. In Zeiten sinkender Auflagezahlen einstiger Forumsmedien sind sie die primäre Medien-Informationsquelle – für eine wachsende Bevölkerungszahl gar die ausschliessliche! Hier informiert man sich über kommende Volksabstimmungen, neue Gesetze oder globale Ereignisse. Wer auf diesen Netzwerken mit markigen Auftritten schnell präsent ist, kann die Meinungsbildung spürbar beeinflussen. Dem durchschnittlichen Bürger ist es zunehmend egal, was in seiner Tageszeitung auf der Titelseite steht. Einen direkteren Bezug hat er zum «Polit-Influencer» seines Vertrauens, der eine Tagesaktualität kompakt und schnell so kommentiert, damit er es in weniger als einer Minute verstanden hat.
Gefährliche EU-Zensur
Die sozialen Medien als Drehscheibe für Medien- und Meinungsmache haben massiv an Bedeutung – und Macht – gewonnen. Wer sich wie und mit wem vernetzt und wer sich wann an einer Diskussion beteiligt oder welche Beiträge in der Bevölkerung «trenden», sprich «die Runde machen», wird von den Plattformbetreibern sehr wohl und minutiös erfasst. Für die Mächtigen im Land sind die Online-Diskurse allerdings unübersichtlich und beunruhigend geworden. Dass jeder ungefiltert im Internet «seinen Senf» abgeben kann und grundsätzlich jeder frei Beiträge publizieren kann, ist «den Eliten», wozu ich in diesem Zusammenhang auch viele Mainstream-Medien zähle, ein Dorn im Auge. Deshalb plädieren sie dafür, die Plattformen stärker zu regulieren. Oder ungeschminkt ausgedrückt: Die Politik will einen weiteren Lebensbereich der Menschen überwachen können und die bedrohten Medienhäuser wollen ihre erstarkten Online-Konkurrenten an die Leine legen.
Vor diesem Hintergrund sind die neuen Regulierungs-Gesetze zu verstehen, die in der EU bereits beschlossen wurden und in der Schweiz vorbereitet werden. Begründet wird das entsprechende Mega-Regelwerk «Digital Services Act» in der EU primär damit, dass es verbindliche Regelungen gegen «Hassrede» und «Desinformation» brauche. Die Plattform-Betreiber sollen in die Verantwortung gezogen werden, wenn die Nutzer «Fake News», Hass und Hetze verbreiten würden. Was auf den ersten Blick noch nachvollziehbar klingt, entpuppt sich beim zweiten als demokratiepolitisch brandgefährliche Staatszensur. Denn für die Einstufung als «Hassrede» oder «Fake News» gelten ausdrücklich nicht strafrechtliche Kriterien. Dafür steht zur Debatte, dass irgendwelche staatsnahen Einrichtungen (sog. «Faktenchecker») dazu bemächtigt werden, bestimmte Inhalte als Desinformation oder Hassrede zu klassifizieren. Facebook, Instagram, TikTok – und wie sie alle heissen – sind dann verpflichtet, gemäss diesen Anweisungen Inhalte im grossen Stil zu löschen oder zu zensieren. Tun sie dies nicht – z. B. weil die beanstandeten Inhalte gegen keinerlei Gesetze verstossen! –, drohen ihnen horrende Bussen. Bis zum «Wahrheitsministerium» nach George Orwells «1984» ist es dann wahrlich nicht mehr weit…
Plattformen im Woke-Zeitgeist
Kritiker stellen fest, dass der «Digital Services Act» bereits heute eine bedrohliche präventive Wirkung entfaltet. Aus Angst, «ja nichts falsch» zu machen, besteht schon heute die Tendenz, dass Plattformen voreilig löschen, zensieren und mit staatlichen und parastaatlichen «Wahrheitsministerien» kollaborieren. Die sozialen Medien haben sich selbst schon stark reguliert und sind in der Mehrheit dem woken Zeitgeist verfallen. Wo heute Inhalte zu Corona veröffentlicht werden oder der vom Menschen gemachte Klimawandel in Abrede gestellt wird, werden diese Inhalte auf den meisten grossen Plattformen mit «Warnhinweisen» und Links zur «offiziellen» Erzählweise dieser Sachverhalte versehen. Und wer Kritik zur LGBT-Agenda äussert, läuft Gefahr, dass die Inhalte ohne Vorwarnung – mit dem Verweis, gegen irgendwelche Nutzungsrichtlinien verstossen zu haben – gelöscht werden. Wenn das alles den EU-Oberzensoren noch nicht ausreicht, dann Gnade Gott, was da noch an Vorschriften und Einschränkungen auf die Menschen zukommen soll. Vermutlich kann bald auch Kritik an Masseneinwanderung und der EU noch viel schneller unterdrückt werden!
Eine löbliche Ausnahme zur um sich greifenden Selbstzensur bildet der Kurznachrichten-Dienst «X», ehemals Twitter. Nachdem Elon Musk die Plattform im Jahr 2022 gekauft hatte, mistete er als Erstes den ganzen Moderations- und Regulierungsbereich aus – dort, wo bis anhin im Sinne des Woke-Zeitgeists über Zensur und Blockierungen entschieden wurde. Musk verordnete strikte Meinungsfreiheit und machte Schluss mit der Ausgrenzung unliebsamer Inhalte. Seit auf X nicht mehr von oben herab manipuliert wird, gewinnen rechte und konservative Stimmen laufend an Einfluss. Der Katzenjammer bei den Linken ist kaum noch zu überhören. Wie lange sich «X» noch gegen den Digital Services Act und Co. behaupten kann, bleibt abzuwarten.
Auch im Bereich der Online-Regulierungen sollte die Schweiz nicht den Weg der EU beschreiten. Wir sollten sämtliche Regelwerke, welche die Meinungsäusserungsfreiheit in Frage stellen, per sofort einstampfen. Einmal mehr ist zu wiederholen: Eine Gesellschaft ist noch nie an zu viel Meinungsfreiheit zugrunde gegangen, sondern immer am Gegenteil davon!