Wir alle beobachten mit Sorge das Aufziehen eines militärischen Konflikts in Europa. Dem denkenden Anteil unseres Volkes ist längst sonnenklar, dass sich in der Ukraine mit Russland und der Nato zwei Machtblöcke gegenüber stehen, die beide ihre Interessen durchzusetzen gedenken – und beide darum bemüht sind, ihren Narrativen grösstmögliches Gewicht zu verleihen.
«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 25. Februar 2022
Auf der einen Seite führt die Nato das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine ins Feld, deren Machthaber im westlichen Landesteil eine Annäherung gegen Westen anstreben. Auf der anderen Seite besteht Russland auf frühere Zusicherungen der Nato, die ehemaligen Sowjetstaaten vor seiner Haustür nicht in das westliche Bündnis einzugliedern. Die Nato sieht Russland als den Aggressor, der Einfluss auf die Ukraine nehmen will – die Russen sehen sich von Nato-Staaten je länger desto mehr eingekreist. Dazwischen gibt es ganz viel grau und Nebenaspekte, die zu kennen notwendig sind, um den Konflikt auch nur im Entferntesten irgendwie einordnen zu können.
In Anbetracht der vielschichtigen Hintergründe der Ukraine-Krise ist es einmal mehr umso trauriger, wie unvollständig die Schweizer Medien ihr Volk über den Konflikt informieren. Dass Putin in der westlichen Presse mehrheitlich als der böse Kriegstreiber dargestellt wird, ist dabei nichts Neues. Aufgrund der Verbandelung der EU-Staaten mit der Nato lässt sich immerhin nachvollziehen, dass sie – auch aus historischen Gründen – den Nato-Narrativen nahe steht und Partei ergreift.
Dass sich die Schweizer Medien aber derart plump der Nato-Propaganda anschliessen, ist ein Armutszeugnis und schlicht unverantwortlich. Aus der Krisenregion zugeschaltete Korrespondenten berichten praktisch ausschliesslich aus der Westukraine und der Perspektive westlicher Mächte. Dabei nähren sie konstant das Bild des militärisch immer stärker aufrüstenden Russen, der aus irrationaler Gier nur darauf wartet, endlich einen Krieg vom Zaun zu reissen. Man hat den Eindruck, dass neue Eskalationen – selbst vom Staatssender SRF – boulevardesk und voller Sensationsgeilheit vermarktet werden.
Wo bleibt der so oft beschworene «Haltungsjournalismus» der Schweizer Medienszene? In Zeiten sich anbahnender militärischer Konflikte sollten Schweizer Medien vor allen Dingen ein Ziel haben: Sachlich berichten, deeskalieren und gegenseitiges Verständnis schaffen. Die Schweiz hätte einen grossen Vorteil: Wir haben unsere bewaffnete Neutralität. Schweizer Medien könnten demnach Leuchtturm und Vermittler sein – statt Nato-Anhängsel und Moral-Lehrmeister.