Schweigen als Zustimmung?

Am 15. Mai stimmen wir über einen medizinisch-juristischen Paradigmenwechsel ab. Bundesrat und Parlament wollen im Transplantationsgesetz die sog. «erweiterte Widerspruchsregelung» verankern: Wer seine Organe nach dem Lebensende nicht spenden möchte, muss seinen Willen neuerdings zu Lebzeiten in einem staatlichen Register eintragen lassen.

«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 8. April 2022

Wer dies nicht tut, wird vom Staat automatisch als Organspender betrachtet. Der Mensch als Ersatzteillager, über dessen Organe die Allgemeinheit nach dem Lebensende verfügen kann – das ist die schöne neue Welt, wie sie sich die Befürworter des Systemwechsels vorstellen.

Selbstverständlich ist zu anerkennen, dass eine Erhöhung der Organspenderate anzustreben ist und Organspenden Leben retten können. Jedem Menschen, der sich auf der Warteliste für ein lebensrettendes Organ befindet, sei zu gönnen, dass er ein solches erhalten möge. Bei der vorliegenden Volksabstimmung geht es aber nicht um die Frage «Pro oder Contra Organspende». Es geht um grundsätzliche ethische und staatsrechtliche Belange.

Dass die Widerspruchsregelung in anderen Ländern zu einer Erhöhung der Organspenderate geführt haben soll, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Selbst der Bundesrat muss einräumen, dass die gewünschte Erhöhung von vielen anderen Faktoren abhängt (Aufklärung in den Spitälern, Sensibilisierung, Unterstützung der Angehörigen etc.). Es ist also nicht gerechtfertigt, sterbende Menschen zum «Allgemeingut» zu erklären – selbst wenn den Angehörigen weiterhin ein Mitspracherecht gewährt wird. Diese werden nämlich keinesfalls entlastet, weil der für die Organentnahme massgebliche Hirntod immer ein plötzliches Ereignis (Unfall, Hirnblutung) ist, das die Angehörigen in Schock und Trauer stürzt und ihr Denkvermögen beeinträchtigen kann. Von Angehörigen in einem solchen Zustand innert kurzer Zeit einen Organspende-Entscheid zu verlangen, ist unethisch.

Der eigene Körper gehört zum Persönlichsten, was der Mensch besitzt. Daher ist es in einem Rechtsstaat unabdingbar, dass jeder medizinische Eingriff, und sei er noch so geringfügig, weiterhin nur nach ausdrücklicher Zustimmung (sog. «informed consent») erfolgen darf. Dieses Prinzip muss insbesondere dann gelten, wenn es um den tiefstmöglichen Eingriff in den Körper geht, nämlich die Organentnahme. Schweigen darf nicht als automatische Zustimmung missdeutet werden. Es darf nicht sein, dass das in der Verfassung verbriefte Menschenrecht auf Unversehrtheit des menschlichen Körpers nur noch dann gilt, wenn es speziell eingefordert wird.

Anian Liebrand
Anian Liebrand
Geboren 1989 in Fribourg. Aufgewachsen in Beromünster LU. Nach Abschluss der kaufmännischen Berufsmatura diverse praxisnahe Weiterbildungen, u.a. im Marketing. Von 2014 bis 2016 Präsident der Jungen SVP Schweiz. Heute in verschiedenen Funktionen für unterschiedliche Parteien und Organisation tätig. 2020 Gründung der Politagentur.ch GmbH als deren Geschäftsführer.

Weitere Texte

Ähnliche Beiträge

Werbungspot_img

Neuste Beiträge

Freiheitlich.ch: Neue Info-Plattform lanciert

Mit Freiheitlich.ch ist eine neue Medien-Plattform am Start, die sich der Stärkung der Meinungsäusserungsfreiheit in der Schweiz verschrieben hat.

Verantwortungslos

Für etwas verantwortlich zu sein, bedeutet, sich zu verpflichten und dafür zu sorgen, dass – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten – alles möglichst gut läuft, indem das jeweils Richtige und Notwendige getan wird und kein Schaden entsteht.

Von Steh- und Sitzhasen

An Ostern gedenken wir Christen der Auferstehung Jesu. Jesus Christus hat die Sünden von uns Menschen auf sich genommen und ist für uns gestorben. Darum geht es an Ostern. Darum sind auch der Ostermontag und Karfreitag landesweite, gesetzliche Feiertage.

Schlagwörter

Newsletter abonnieren