Wir Schweizer sind stolz auf unser politisches System. Auf die direkte Demokratie, das Milizsystem, den Föderalismus und die Konkordanz in der Landesregierung. Wir haben «das beste aller schlechten Systeme», hielten Chronisten schon früh fest.
«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 21. Februar 2025
Unser Staatswesen, das die Macht von Politikern begrenzt und dem Volk wichtige Mitsprache sichert, ist ein Kunstwerk, für das wir beneidet werden – und zu dem wir Sorge tragen müssen.
Unser System hat jedoch Auswüchse entwickelt, die das Gesamtbild trüben. Das Milizparlament ist de facto ein (Fast-) Berufsparlament geworden und die Verwaltung wuchs so heftig, dass sie heute zu Bundesbern den wahren Taktstock der Macht schwingt.
Besonders augenfällig sind zudem die Defizite des Wahlverfahrens für neue Bundesratsmitglieder – wie der jüngste Showkampf um die Nachfolge von Viola Amherd zeigt. Unser System ist zwar darauf ausgelegt, mit der Zauberformel die relevanten politischen Kräfte in die Regierung einzubinden. Das hat uns Stabilität gebracht. Politische Entscheide sind in der Regel austarierter und besser abgestützt. Der offensichtliche, sich in den letzten Jahrzehnten zugespitzte Nachteil dabei: Es werden oft nicht mehr die Fähigsten in den Bundesrat gewählt.
Wahlentscheidend sind heute Etiketten wie «Konkordanztauglichkeit». Seine Wahlchancen erhöht, wer seine Kandidatur von PR-Büros orchestrieren lässt, sich aalglatt und kompromissbereit gibt. Möglichst wenig Ecken und Kanten zeigen, niemandem gefährlich werden und bestenfalls Positionen vertreten, die von der eigenen Partei abweichen – dies macht den idealen Bundesratskandidaten von heute aus. Es bürgerte sich ein, dass die Fraktionen dem Parlament sog. Kandidaten-Tickets zur Auswahl unterbreiten. Gewählt wird dabei in der Regel derjenige Kandidat, den die anderen Fraktionen besser zu formen und zu beeinflussen glauben. Wer den Durchschnitt überragt, gestalten und «ausmisten » will, wird abgesägt – das Paradebeispiel Christoph Blochers ist uns noch in Erinnerung.
Auch wenn die Beispiele Ueli Maurer und Albert Rösti sich für die SVP in den letzten Jahren als Glücksfälle im Bundesrat entwickelt haben, bleibt die Systemschwäche vordringlich: Das System ist ausgerichtet auf Negativauslese statt auf die Auslese der Besten. Wir müssen es grundsätzlich überarbeiten und erneuern, sonst werden auf all die Amherds und Baume-Schneiders noch viele weitere formatlose Durchschnitts- Bundesräte folgen – zum Nachteil unser aller Interessen.