Oft ist in den Medien hierzulande von einer «Verrohung des politischen Diskurses» die Rede, von zunehmenden Feindseligkeiten und der «Verhärtung der Fronten». Erlebnisse aus jüngster Vergangenheit und Erfahrungen, die ich mit politischen Exponenten aus unseren Nachbarländern gemacht habe, veranlassen mich, dieses düstere Bild, das gerne von den politischen Verhältnissen in der Schweiz gemalt wird, zu relativieren.
«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 7. Februar 2025
Auch wenn wir es gewohnt sind, in der politischen Arena hart zu streiten, ist uns Schweizern in der Auseinandersetzung doch immer ein Grundanstand, der Respekt für das Gegenüber, erhalten geblieben. Wir mögen sie für grundfalsch halten, die Politik der Glättlis, der Wermuths und wie sie alle heissen. Und sie, die Linken, finden wiederum, dass wir Rechten auf dem Holzweg sind. Doch trotz allen gegenseitigen Attacken sind die Türen nie verschlossen, um im persönlichen Umgang anständig miteinander zu sprechen und gemeinsame Sache zu machen, wenn man – in seltenen Fällen – doch mal gleicher Meinung ist.
Als ich noch Präsident der Jungen SVP Schweiz war, hatte uns vor Jahren mal eine Jugend-Delegation der deutschen AfD an einer Parteiversammlung besucht. Die jungen Leute trauten ihren Augen kaum, da wir als Gastreferenten einen lokalen Präsidenten der Jungsozialisten eingeladen hatten – und der auch tatsächlich gekommen ist, um über sein Thema zu sprechen. Ich hatte dem Juso-Redner höflich gedankt, wir machten ein paar Witze und verabschiedeten uns freundlich. Völlig verblüfft fragten mich die AfDler, wie so etwas möglich sei. Mir wurde bewusst: Was für uns in der Schweiz selbstverständlich scheint – dass alle Parteien miteinander sprechen, obwohl sie sich hin und wieder «aufs Dach geben» –, ist alles andere als selbstverständlich.
Bei ihnen in Deutschland würden die Jusos vor ihren Anlässen demonstrieren, klärten mich die Gäste der AfD auf. In den Parlamenten werden Vertreter der AfD von den anderen Fraktionen nicht einmal gegrüsst. Nie wären gemeinsame Auftritte möglich, ohne dass die Nazikeule geschwungen oder die «Brandmauer» hochgezogen würde. Bei uns hingegen überbringt ein sozialdemokratischer Gemeindepräsident die besten Glückwünsche von der Gemeinde, wenn auf dem Land eine neue SVP-Ortspartei gegründet wird. Bei uns spricht ein SP-Bundesrat an der Albisgüetlitagung der SVP. In der Schweiz reden wir noch miteinander, weil wir im Allgemeinen zwischen politischer Haltung und dem Menschen selbst unterscheiden können. Tragen wir Sorge zu dieser wertvollen Tugend!