Liberale Irrungen

Während die Parteispitze zum Kampf «gegen staatliche Kleidervorschriften» bläst, stimmen laut der jüngsten Tamedia-Umfrage gegenwärtig fast drei Viertel der FDP-Anhänger der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» zu. Die Kampagnenführer gegen die Initiative wollen trotzdem den liberalen Blickwinkel für sich gepachtet haben. Haben sich demnach drei von vier FDP-Wählern von liberalen Werten verabschiedet?

«Schlusspunkt»-Kolumne von Anian Liebrand, erschienen in der «Schweizerzeit» am 29. Januar 2021

Das Gegenteil ist der Fall: Die Partei-Eliten haben ihren Kompass verloren. Ein Verhüllungsverbot ist keine Kleidervorschrift, sondern es befreit Frauen von Erniedrigung und Unterdrückung. Für diese Freiheit einzustehen, hat viel mehr mit liberalen Werten zu tun als gegen die antidemokratischen Auswüchse eines radikalen Islam unter pseudoliberalen Vorzeichen nichts unternehmen zu wollen.

Ich nehme für mich nicht in Anspruch, ein «Vorzeige-Liberaler» zu sein – aber so viel glaube ich zu wissen: Freiheit setzte schon immer Verantwortung voraus. Liberal zu handeln – das scheint zum Glück die grosse Mehrheit der FDP-Sympathisanten verinnerlicht zu haben – bedeutete nie, gegenüber gefährlichen Bedrohungen keine Regeln zu erlassen und «alles schleifen» zu lassen. Dass der radikale Islam, mit dem Burka und Niqab untrennbar verknüpft sind, eine solche Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens darstellt, sollte auch die FDP-Parteispitze einsehen.

Ein überzeugter Liberaler kann die Verhüllungsverbots-Initiative nur schon deshalb nicht ablehnen, weil bei einem Nein zur Initiative automatisch ein indirekter Gegenvorschlag in Kraft tritt. Dieser würde ein wohl noch nie da gewesenes Staatsausbau- und Geldverteilungs-Programm schaffen, mit dem sich die linke Sozialindustrie wie im Schlaraffenland fühlen würde.

Bei einem Nein zur Initiative werden künftig noch mehr Bundesgelder mit der Giesskanne verteilt: Für nur vage definierte «Frauenförderung», Gleichstellung, Integration und Entwicklungshilfe im Ausland. Klare Zieldefinitionen – wie das Pochen auf verbindliche Integrationsvereinbarungen – fehlen. Der Gegenvorschlag muss der Albtraum eines jeden rechtschaffenen Liberalen sein.

Ich weiss bereits von etlichen Jungfreisinnigen, dass sie aus den geschilderten Gründen Ja zum Verhüllungsverbot stimmen werden. Das Verhüllungsverbot als klar definierter Verfassungsauftrag für ein friedliches Zusammenleben ist um einiges liberaler als noch mehr staatliche Geldverteilung.

Anian Liebrand
Anian Liebrand
Geboren 1989 in Fribourg. Aufgewachsen in Beromünster LU. Nach Abschluss der kaufmännischen Berufsmatura diverse praxisnahe Weiterbildungen, u.a. im Marketing. Von 2014 bis 2016 Präsident der Jungen SVP Schweiz. Heute in verschiedenen Funktionen für unterschiedliche Parteien und Organisation tätig. 2020 Gründung der Politagentur.ch GmbH als deren Geschäftsführer.

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