Gemeinde-Autonomie: Kein Auslaufmodell

Meine ersten politischen Schwerpunkte widmete ich dem Erhalt eigenständiger Gemeinden und der Abwehr von oben herab angestossener Gemeindefusionen im Kanton Luzern. Die Vernetzung fusionskritischer Akteure über die Parteigrenzen hinweg war erfolgreich: Die geplanten Grossfusionen in den Agglomerationen Luzern und Sursee wurden nach grossem Widerstand auf Eis gelegt.

Druck von oben

Abstimmungs-Flyer „Nein zum Gemeindegesetz“, Januar 2009

Im Rahmen einer Strukturreform des Projekts «Luzern ’99» und der Gemeindereform 2000+ wollte der Kanton Luzern nach der Jahrtausendwende möglichst viele Gemeindefusionen anstossen. Gemeinden wurden im grossen Stil mit finanziellen Anreizen dazu «motiviert», ihre Eigenständigkeit aufzugeben und sich zu grösseren Gebilden zusammenzuschliessen. Wo Fusionen kleinerer Gemeinden durchaus Sinn machen konnten (wenn sie von der Bevölkerung angeregt und getragen werden), war der Bedarf der angedachten Grossfusionen um Luzern und Sursee definitiv nicht gegeben.

Zusammen mit Mitstreitern habe ich mich entschieden gegen diese ungesunde, von oben herab diktierte – und zu Unrecht als «alternativlos» verkündete – Entwicklung gewehrt. Unsere Hauptargumente gegen die Grossfusionen damals waren unter anderem:

  • Nein zum Stimmkraftverlust: Immer weniger Menschen regieren über immer mehr. Die Stimme des einzelnen Bürgers verliert an Gewicht.
  • Nein zu weniger Bürgernähe und mehr Anonymität: Die Wege zur Verwaltung und zum Gemeinderat werden in grösseren Gebilden länger.
  • Nein zur Aufblähung der Verwaltung: Gemeindefusionen machen Verwaltungen nicht effizienter, sondern verteuern den Apparat! Viele Staatsaufgaben «lohnen» sich erst ab einer gewissen Grösse. So steigt die Quote der Verwaltungsangestellten, je mehr Einwohner eine Gemeinde zählt.
  • Selbstbestimmung erhalten: Niemand hat etwas gegen überkommunale Zusammenarbeit, wenn dadurch Synergien gewonnen werden können. Aber die Eigenständigkeit der Gemeinden darf nicht leichtfertig preisgegeben werden.

Interessant ist im Übrigen: Mit all unseren Argumenten haben wir im Verlauf der Jahre Recht bekommen. Im Dezember 2016 berichtete zum Beispiel die «SRF Rundschau», dass Gemeindefusionen gemäss einer Studie der Universität St. Gallen meist nicht zu Kosteneinsparungen geführt hätten. Etwas, was wir von Anfang an gesagt hatten und wo uns die Fusionsbefürworter (Regierungs- und Gemeinderäte, Verwaltungen und viele Medien) während den Auseinandersetzungen immer widersprochen hatten.

Die grosse Fusions-Euphorie

Der Wind hat mittlerweile gedreht. Sowohl im Kanton Luzern als auch in vielen anderen Kantonen ist die Fusionsbegeisterung verflogen. Die Debatten werden heute weniger euphorisch, sondern sachlicher geführt. Aber, wie eingangs erwähnt, war dies bis vor rund 10 Jahren im Luzerner Lande noch ganz anders… 

Im Juni 2007 stimmten die Bürger von Littau und Luzern über eine Zusammenlegung ihrer Gemeinden ab. Nach einem emotionalen Abstimmungskampf erfolgte eine relativ knappe Zustimmung (mit rund 54 Prozent in Littau und 52 Prozent in Luzern). Ein Hauptgrund war für viele, dass der Kanton und die Stadt Luzern im Vorfeld versprochen haben, dass nach der Fusion für die Littauer der tiefere Steuersatz. In der Stadt Luzern ist dieser immerhin rund 10 Prozent tiefer… Dass dereinst etliche neue Gebühren auf die Littauer zukommen würden, die sie in ihrer Gemeinde bis anhin gar nicht kannten, ahnten die Fusions-Zustimmer damals wohl noch nicht.

Die Eingliederung Littaus bildete für die Fusionsturbos den Auftakt für die Schaffung eines «GrossLuzerns». Im Rahmen des Projekts «Starke Stadtregion» sollten in den nächsten Jahren Adligenswil, Ebikon, Emmen, Horw und Kriens folgen. Und auch das zweite Zentrum des Kantons, die Stadt Sursee, solle ihre Nachbarsgemeinden schlucken. Für die Verantwortlichen gab es kein Halten mehr. So setzten die Umwälzungs-Befürworter in Regierungs- und Kantonsrat durch, dass die Fusion von Luzern und Littau vom Kanton mit einem Finanzbeitrag von 20 Millionen Franken unterstützt werden sollte. Gegen diesen Beschluss ergriffen die SVP und die Bewegung CHance21 erfolgreich das Referendum.

Die «Kleinen» treten an

Als für den November 2007 dann die Volksabstimmung angesetzt wurde, durfte ich für das überparteiliche Komitee den Abstimmungskampf leiten. Neben der SVP, JSVP und der CHance21 haben sich auch namhafte Exponenten der damaligen CVP (u.a. die damalige Grossrätin Marlis Roos und Gody Studer, der namhafte Gemeindepräsident von Escholzmatt ) und der FDP (u.a. der legendäre Dr. Hermann Suter selig) beteiligt. Für die SVP ist der ehrenwerte Grossrat Ruedi Stöckli in den Ring gestiegen. Gleich nach den Nationalratswahlen Ende Oktober haben wir den Abstimmungskampf eröffnet, eigene Plakate und Flyer gedruckt und eine selbstbewusste Kampagne geführt.

Bericht des damaligen Zentralschweizer Fernsehsenders «TeleTell» zur Medienkonferenz des Abstimmungskomitees gegen den 20 Millionen-Fusionsbeitrag an Luzern-Littau (Oktober 2007)

Die Fronten waren von Anfang an klar abgesteckt. Auf der einen Seite das vereinigte Polit-Establishment des Kantons Luzern mit dem gesamten Regierungsrat und der grossen Mehrheit der Parlamentarier und Parteien. Auf der anderen Seite ein kleines Komitee mit der SVP und ein paar unerschrockenen, aber gewichtigen Persönlichkeiten aus den anderen bürgerlichen Parteien. Alles rechnete angesichts der eindeutigen Grosswetterlage («Fusionen sind die Zukunft», «dagegen sind nur ewiggestrige Hinterwäldler») mit einer klaren Volkszustimmung. Doch es kam anders. Als wir am Abstimmungssonntag im Landgasthaus Strauss in Meierskappel zusammenkamen und die Resultate der Gemeinden laufend eingetrudelt sind, trauten wir unseren Augen kaum. Knapp 60% der Stimmberechtigten und alle Ämter (heute Wahlkreise) haben den Fusionsbeitrag abgelehnt.

Die Wende: Nein zum 20 Millionen-Beitrag an Luzern-Littau

Unser Komitee hat scheinbar einiges richtig gemacht und ein gutes Gespür für die Argumente bewiesen, welche die Leute angesprochen haben. Speziell zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Verdienste des damaligen SVP-Einwohnerrats Peter With und des 2011 verstorbenen SVP-Kantonalsekretärs Oscar Blaser, beide aus Littau. Beide haben unermüdlich geackert und massgeblich für das Gelingen nicht nur dieser Abstimmungskampagne beigetragen. Sie haben darüber hinaus wertvolle Aufklärungsarbeit im ganzen Kanton betrieben und mit anschaulichen Beispielen falscher Versprechungen aus dem Fusionsprozess von Littau und Luzern viele Bürger aus anderen Gemeinden zu kritischem Hinterfragen anregen können. Ebenso ragt das unermüdliche Engagement der CHance 21 und ihrem damaligen Luzerner Grossstadtrat Viktor Rüegg hervor (neben den Verdiensten vieler anderer).

Das Abstimmungsresultat hat im politischen Betrieb des Kantons Luzern ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Völlig überraschend ist der Fusionsturbo ins Stocken geraten. Die Tatsache, dass millionenschwere Finanzspritzen für nicht am Hungertuch nagende Gemeinden von der Kantonsbevölkerung offenbar nicht getragen werden, versetzte den weiteren Grossfusions-Projekten einen spürbaren Dämpfer. In allen Gemeinden der Luzerner Agglomeration und sogar darüber hinaus bildeten sich Komitees, die sich für die Eigenständigkeit ihrer Gemeinden einsetzen und eine Fusion mit der Stadt Luzern verhindern wollten. In Kriens bildete sich unter dem Vorsitz der liberalen Legende Dr. Alexander Wili das «Komitee für ein eigenständiges Kriens (KeK)». In Horw die IG Horw mit dem populären ehemaligen Gemeindeammann Oskar Kaeslin (CVP).

«GrossLuzern» und «Gross-Sursee» scheitern

Kampagnen-Plakat des Vereins „Gegen GrossLuzern“ gegen die Fusionsprojekte in der Agglomeration Luzern (2009)

Im Januar 2008 gründeten wir als eine Art Dachverband der Luzerner Fusionskritiker den Verein «Gegen GrossLuzern». Im Mai 2008 ergriffen wir das Referendum gegen die Änderung des Gemeindegesetzes, welche dem Kanton auch auf Gesetzesstufe die Kompetenz geben wollte, Zwangsfusionen von Gemeinden zu verordnen. Das Referendum brachten wir erfolgreich zustande, die Abstimmung im Februar 2009 haben wir dann allerdings deutlich verloren (bei ca. 30% Nein-Stimmen).

Alle Agglomerationsgemeinden haben in den kommenden Jahren die Fusionsverhandlungen mit der Stadt Luzern schon in frühen Phasen abgebrochen. Die Promotoren der «Starken Stadtregion» wollten die Weichen für ein GrossLuzern mit einem mehrstufigen Verfahren stellen: Zuerst gelte es nur, «ergebnisoffene» Abklärungen zu starten, bevor erst später über allfällige Fusionen abgestimmt werde. Die Fusionsgegner-Komitees haben dieser durchsichtigen Taktik von Anfang an klare Kante gezeigt. «Nein zur Fusion» hiess es in ihren Kampagnen von Beginn an. Auch die Stimmbürger haben den Braten gerochen und früh erkannt, dass von Ergebnisoffenheit keine Rede sein kann und das Fusions-Ziel von Anfang an bekannt war.

Der bekannte Historiker Dr. Pirmin Meier sprach 2010 bei einer Veranstaltung des Vereins „Gegen GrossLuzern“

Auch gegen das geplante «Gross-Sursee» bildete sich Widerstand. So habe ich von Beginn an verschiedene Komitees unterstützen können, die sich gegen die Fusion gestellt haben. Den Fusionsturbos ist es folglich nie gelungen, eine Euphorie zu entfachen. Ende 2011 wurden die Abklärungen einer Fusion zwischen Geuensee, Knutwil, Mauensee und Sursee abgebrochen.

Im Wahlkreis Entlebuch sollte das 2008 gestartete Projekt «G4» die Gemeinden Entlebuch, Flühli, Hasle und Schüpfheim zu einer einzigen Gross-Gemeinde fusionieren. Es bildete sich das Komitee «Zukunft Entlebuch», welches gegen dieses zentralistische Anliegen mobil machte. In den Volksabstimmungen stimmte nur Schüpfheim knapp für Fusionsverhandlungen. Im Juni 2010 wurde auch dieses Grossfusions-Projekt beerdigt.

Standaktion in Sursee im November 2010

Leider ist davon auszugehen, dass wir all diese Debatten in nicht ferner Zukunft wohl erneut führen werden. Der Kanton hat zwar einen Marschhalt verfügt. Die Sehnsucht nach der Schaffung eines «GrossLuzerns» und «Gross-Sursees» schwelt aber noch in manchen Köpfen weiter…

Anian Liebrand
Anian Liebrand
Geboren 1989 in Fribourg. Aufgewachsen in Beromünster LU. Nach Abschluss der kaufmännischen Berufsmatura diverse praxisnahe Weiterbildungen, u.a. im Marketing. Von 2014 bis 2016 Präsident der Jungen SVP Schweiz. Heute in verschiedenen Funktionen für unterschiedliche Parteien und Organisation tätig. 2020 Gründung der Politagentur.ch GmbH als deren Geschäftsführer.

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